Fraktion der Unabhängigen Liste (UL) Haushaltsrede zum Haushalt 2022
Rede der UL zum Haushalt 2022
Zunächst Dank an die ganze Verwaltung für die geleistete Arbeit. Besonders danken wir Hauptamtsleiter Marcel Schneider: in den vergangenen 12 Monaten gab es wegen Corona für Sie viele Sonderaufgaben wegen sich schnell ändernde Rechtsvorschriften und der Notwendigkeit, auf Entwicklungen schnell zu reagieren. Dank für die von Ihnen geleistete gute Zusammenarbeit mit den Schulen, Betrieben und der Hochschule Furtwangen.
Dank auch an alle, die in Schulen und Kindergärten arbeiten und in diesen schwierigen Zeiten die Betreuung und Bildung der Kinder gewährleisten. Mittlerweile ist Konsenz, dass Unterricht solange es irgend geht in Präsenz erfolgen soll, um langfristige Defizite bei der schulischen Bildung zu vermeiden, was auch unter sozialen Gesichtspunkten wichtig ist. Dank allen, die das täglich möglich machen Dank auch an unsere Hausärzte und Hausärztinnen für ihren tollen Einsatz für die Erhöhung des Impfschutzes.
-Appell an die Bevölkerung: wirklich alle sehnen sich wieder nach Normalität, aber die enormen Inzidenzwerte zeigen, dass wir uns alle sehr vorsichtig und vernünftig verhalten müssen und insbesondere –möglichst freiwillig- uns impfen und boostern lassen.
Was ist der UL im Zusammenhang mit den Haushaltsberatungen wichtig? Hier wollen wir nicht auf einzelne Zahlen eingehen, dazu ist später noch in den Einzelberatungen Zeit und Gelegenheit, sondern die wichtigen Fragen und
Herausforderungen, die die UL für Furtwangen sieht, zusammenfassen:
- Klimaschutz, CO2-Neutralität: Europa, Deutschland und gerade noch mal ambitionierter Baden-Württemberg haben einen klaren Fahrplan für klimaneutrales Leben und Wirtschaften aufgestellt: die EU will das bis 2050, Deutschland bis 2045 und Baden-Württemberg bis 2040 erreichen: ohne die Kommunen wird das weder in BW, noch in D noch in der EU klappen. D.h.: auch wir sind wirklich gefragt, all unseren Verstand und unsere Möglichkeiten auszuschöpfen, einen Beitrag zu leisten. Es reicht nicht aus, nur auf Stuttgart, Berlin oder Brüssel zu zeigen oder zu schimpfen. Es gilt zu erkennen, wo wir schon heute zu diesem Ziel beitragen können.
Das geht oft auch ohne Mehrkosten. Beispiel: Dächer von städtischen Gebäuden für Sonnenenergie nutzen (neues Gebäude Eigenbetriebe TD: eine vertane Chance! Neubau OHG: Photovoltaik auf dem Dach immer noch nicht umgesetzt, Sanierung OHG: Dach nutzen, Fassade: vertane Chance, die –durchaus teure- Fassade ist ausgeschrieben ohne an eine Fassade mit aktiver Energiegewinnung zu denken!). Man sieht: Hier braucht es Bewusstsein, Sensibilität, Wissen, was geht und sinnvoll ist, und Willen das Sinnvolle auch umzusetzen. Bei jeder Heizungssanierung in
städtischen Gebäuden müssen wir CO2-neutrale Lösungen anstreben! Auch bei den Wärmedämmungsstandards muss man das in Zukunft berücksichtigen. Beispiel wieder OHG: da müssen wir uns anstrengen bei der Wärmedämmung KW 75 zu erreichen für ein großes Gebäude, das nach der Sanierung wieder 30 Jahre genutzt werden soll.
Um da systematisch voran zu kommen schlagen wir vor und werden wir 2022 beantragen, ab 2023 –also mit Abschluss der Sanierung OHG- jedes Jahr im Haushalt mindestens ein großes Vorhaben mit Wirkung zum Klimaschutz
einzuplanen und dann auch umzusetzen. Die richtige Maßnahme -große positive finanzielle Wirkung (Energiekosten) und große Klimawirkung (CO2-Reduktion) -sollte durch Beratung z.B. mit der Energieagentur ermittelt werden.
- Klimaschutz ist auch bei Bebauungsplänen konsequent zu beachten: auch für die Bauherrinnen zahlt sich z.B. eine Photovoltaik-Pflicht langfristig mit nun kalkulierbar zunehmender CO2-Bepreisung und steigenden Energiekosten aus!
Zugleich gilt es Furtwangen beim Klimaschutz in eine „Pool-Position“ zu bringen, um Förderungen und Zuschüsse zu nutzen. Beispiel Gewerbegebiete: wenn wir bei rückgehender Bevölkerung überhaupt noch an neue Gewerbegebiete denken wollen, dann müssen wir uns an Vorbilder wie Blurado in Radolfzell, Lauffenmühle in Lörrach oder ultraenergieeffiziente Gewerbegebiete wie in Rheinfelden orientieren. Wenn überhaupt neues Gewerbegebiet, dann geht u.E. nur ein modellhaftes und CO2-neutrales Gewerbegebiet!
Der Gemeinderat hat einstimmig als Ausbauziel bei Windkraft formuliert, dass wir den Strombedarf von Furtwangen aus erneuerbaren Energien decken wollen. Hier sind wir in den letzten Jahren nicht wesentlich weiter gekommen, insbesondere weil auf städtischen Dächern zur Nutzung der Sonnenenergie nur wenig passiert ist.
Schade, haben wir doch mit dem Energiewende e.V. eine Einrichtung, die sich darum kümmert, s. gerade in Königsfeld oder sogar in Wylkowo. Trotz Ausweisung von Vorrangflächen ist auch beim Windkraftausbau nichts passiert. Hier muss es in Zukunft viel, viel schneller gehen.
- Lebensqualität in Furtwangen steigern: die Einwohnerzahl ist weiterhin rückläufig Und das, obwohl wir eine starke heimische Industrie, eine Hochschule haben, die auch Vorort kräftig gewachsen ist (allein in Furtwangen Verdoppelung der Studierendenzahlen in den letzten 20 Jahren) und wir in einer wundervollen Umgebung leben. Klar: kleinere Kommunen haben es schwer, die Vorteile und Annehmlichkeiten der städtischen Urbanität zu bieten, die sich jüngere und ältere Menschen oft wünschen., Wo sehen wir da besonderen Handlungsbedarf zur Erhöhung der Lebensqualität in Furtwangen?
Mobilität: die UL beteiligt sich am Aktionsbündnis „Mobilität neu denken“. Da geht es um ganz konkrete Themen wie „Vom Parkraum zum Lebensraum“, also öffentlichen Raum nicht nur als Parkraum für das „heilig Blechle“ zu sehen und zu planen, sondern als Lebensraum, in dem wir uns gerne aufhalten und begegnen. In dem Sinne halten wir die vorgesehene relativ teure Anlage eines neuen Parkplatzes auf dem ehemaligen EGT-Gelände als nicht sinnvoll an, auch um das Gelände für gemeinsame strategische Entwicklungen der Stadt Furtwangen und der Hochschule,
also die Mehrzweckhallte, frei zu halten. Bei Mobilität geht es auch um Sicherheit im Straßenverkehr. An dieser Stelle möchte ich ein Erlebnis berichten bei der letzten Sitzung des Aktionsbündnisses, wo Florian Klausmann vom VDU zu Gast war. Da hat er aus seinem Freundeskreis berichtet, dass –anders als vor 30/40 Jahren- man mit Kindern nicht mit dem Fahrrad in und durch die Innenstadt von Furtwangen fahren kann. Was ich erschütternd fand: war mein erster Reflex, „klar, so ist es, das stimmt“: auch ich würde nicht mit meinen Enkelkindern auf der Allmendstrasse mit dem Fahrrad fahren, ein Risiko, das ich für mich selbst fast täglich eingehe. Erst da ist mir die Ungeheuerlichkeit der Aussage bewusst geworden: in Furtwangen kann man nicht ruhigen Gewissens mit Kindern auf Fahrrädern durch die Stadt fahren! Was sagt das über die Planung aus, für die wir hier im Gemeinderat verantwortlich sind? Glauben wir wirklich, dass für junge Familien ein Furtwangen attraktiv ist, bei dem Kinder nur mit Bedrohung von Leib und
Leben mit dem Fahrrad durch die Innenstadt fahren können? Was wir heute brauchen ist ein anderes Denken als in den 70ger Jahren des letzten Jahrhunderts, bei dem alle Planungen eben auf das „heilig Blechle“ ausgerichtet waren. Bei der Verkehrsplanung müssen wir alle Verkehrsteilnehmer berücksichtigen: die AutofahrerInnen, die FahrradfahrerInnen und die Fußgänger. Und wir müssen den besonderen Schutzbedarf derjenigen beachten, die eben keinen „Blechpanzer“ um sich haben. U.E brauchen wir „Fahrradmarginalen“ auf denen man mit dem Fahrrad
sicher Furtwangen durchqueren kann, vom Rewe bis zum Sportplatz und wenn man das hat wird man es auch von Rohrbach bis Neukirch ohne großen Aufwand schaffen. Von daher beantragen wir, bei der Planung der Sanierung der Carl-Diem-Straße (vorgesehen für 2024) diese als „Fahrradstraße“ zu planen, auf der sich alle Verkehrsteilnehmer gleichberechtigt bewegen dürfen, aber AutofahrerINNEN eben besonders rücksichtsvoll fahren müssen.
“Verkehrssicherheit für alle“ müssen wir auch bei dem zukünftigen Verkehrsführungskonzept und bei der Sanierung der Allmendstrasse mitdenken! Von daher werden wir beantragen, den Straßenquerschnitt bei einer Sanierung der
Allmendstrasse so zu verändern, dass alle Verkehrsteilnehmer –auch FahrradfahrerINNRN diese in Zukunft sicher nutzen können und beantragen hier Planungskosten von 70.000 € (statt Planung Rabenstrasse, wo es mittelfristig eh
nicht weitergeht). Aufgenommen haben wir 40 T€ auch im Hinblick auf Pflegearbeiten bei Fußwegen und Treppen. Herr Herdner: ich finde es wirklich bedauerlich, dass unsere aufwändig überdachte Treppe zum Kussenhof so überwuchert ist, dass man sich um die Konstruktion Sorgen machen muss. Bereits vor Monaten habe ich Ihnen
von den Klagen von Anwohnern berichtet. Leider ist da bis heute nichts passiert.
Zur Lebensqualität gehört für uns auch, bei Neubaugebieten an Kinderspielplätze zu denken: Hier beantragen wir daher die Erhöhung des Ansatzes um 40.000 € für „Oberer Bühl“. Toll wäre auch, wenn die schönen hochwertigen Sitzbänke in der Gerwigstrasse, Ecke Marktplatz wieder auftauchen und aufgestellt würden.
Viel gäbe es zum Thema „Attraktivität von Furtwangen weiter erhöhen“ zu sagen: Bezahlbarer Wohnraum, in dem die Stadt dort, wo sie Einfluss hat, konsequent auf einen angemessenen Anteil von Sozialwohnungen achtet (wie auf Antrag der UL beim neuen Wohnkomplex in der Carl-Diemstrasse dann passiert). Es freut uns dass es endlich bei dem Erhalt der Alten Post weitergeht und das Büro Sutter seine Expertise einbrigt. Oder Gesundheitsversorgung: gerade im ländlichen Raum ein großes Thema, bei dem die Kommunen natürlich nicht alles regeln können.
Anregung: Experten der HFU, die sich Gesundheitsversorgung des ländlichen Raums mal zu einer Klausurtagung des Gemeinderats. In Nachbarkommunen wird z.T. sehr intensiv die Nachfolge bei Arztpraxen begleitet. Vielleicht ist das etwas, was wir „Stadtmarketing“ bei uns mit Priorität unterstützen sollten. Nun noch direkt zum Haushalt 2022 und was der mit den großen inhaltlichen Themen zu tun hat. Herr Bürgermeister Herdner: es würde mich wirklich freuen,
wenn das von Ihnen erklärte Ende „des strukturellen Haushaltsdefizits“ sich in den Haushaltszahlen wiederfinden würde: denn die gerade genannten Themen brauchen nicht überall, aber doch immer wieder auch Finanzmittel zur Realisierung. Nehmen wir z.B. Klimaschutz: Da gibt es zwar nun jede Menge Zuschüsse z.B. zur Beratung für Klima-schutzmanager und auch für konkrete Maßnahmen. Aber: etwas bleibt auch bei der Kommune hängen. Also: ohne freies Geld für solche Klimaschutzmaßnahmen wird es nicht gehen. Diese Freiräume sehen wir derzeit nicht in aus-reichender Höhe: denn trotz der Verbesserungen auf der Einnahmeseite landen wir noch bei einem Defizit von -97 T€ .
In den nächsten Jahren werden dann die Abschreibungen für Neubau und Sanierung des OHG deutlich steigen und das Ergebnis belasten. Auch der Eigenbetrieb Breitband wird den Haushalt der Stadt belasten. Mit dem Digitalpakt wird derzeit die digitale Infrastruktur mit Unterstützung von Land und Bund verbessert. Aber auch das wird spätestens in 3-4 Jahren Folgekosten bei uns erzeugen. Aufgrund unserer Nachfrage wurde auch noch ein bisher nicht berücksichtigter Finanzierungsbedarf für das OHG für das Jahr 2023 von der Verwaltung „nachgeliefert“. Angesichts der Zukunftsauf-gaben sehen wir noch immer strukturelle Probleme beim Haushalt. Um diesen nachhaltiger zu machen, sprich nicht nachfolgende Generationen mit Aufgaben von heute zu belasten, müssen wir u.E. also entweder auf der Ausgabenseite bei den laufenden Kosten oder auf der Einnahmenseite bei von uns festlegbaren Steuern und Hebesätzen etwas tun. Letzteres sollte aber in einem intensiven Dialog erfolgen, denn das muss natürlich mit Augenmass und ohne
Überlastung der Betroffenen gemacht werden. Zum laufenden Haushalt: Zunächst begrüßen wir es, dass in diesem Jahr wie von uns seit langem gefordert der Fokus bei den Investitionen wirklich beim OHG liegt: 5 Mio € von 7 Mio € sind für diese wichtigste „Baustelle“ der Stadt vorgesehen, was wir ausdrücklich begrüßen Dann gibt es nicht viele, aber u.E. doch einige Ansätze zum Sparen. Z.B. Investitionszuschuss KiGa St. Martin: Kindergärten insgesamt müssen natürlich auf einem guten Standard gehalten werden. Als Stadt müssen wir dafür sorgen, dass wir einen ähnlichen Standard bei allen Kindergärten einhalten. Hier würden wir uns an Rohrbach orientieren und sehen bei der Gesamtmassnahme noch Einsparmöglichkeiten bei noch immer gutem Standard. Die Einsparung sollte dann
für den ersten Schritt der Sanierung des Sanitärbereichs im Kindergarten Regenbogen genutzt werden.
Bei den Straßen: grundsätzlich gilt, was wir an dieser Stelle leider immer wieder sagen müssen: vor dem Winter so viel wie möglich flicken, damit im Frühjahr die Straßen nicht großflächig aufbrechen, ist günstiger als teure Komplettsanierungen. Da, wo aber saniert wird, sollten wir auf Verbreiterungen verzichten: das ist weder zeitgemäß (Flächenverbrauch, Versiegelung von Flächen) noch in Zukunft notwendig, Dies betrifft im nächsten und übernächsten Jahr den Dreifaltigkeitsweg, dessen Sanierung ohne Verbreiterung – und ohne Erhöhung des Ausbaustandards –
z.B. Anlegen von Randsteinen- gemacht werden sollte, gerne auch hier als verkehrsberuhigte oder Fahrradstraße.
Aufgefallen ist uns, das bei Bauleitkosten das „Verursacherprinzip“ nicht immer berücksichtigt wird und daher Einnahmen fehlen.
Zum Abschluss möchten wir Ihnen, lieber Kämmerer Franz Kleiser danken: für den vorgelegten Haushalt, die nachgereichten Erläuterungen und natürlich für die Aktualisierung der Haushaltszahlen quasi in letzter Minute, bei der durch Mehreinnahmen sich das Ergebnisdefizit um mehr als 600 T€ reduzierte. Es ist nun der letzte Haushalt, den Sie verantworten, vielleicht gelingt als „Abschiedsgeschenk“ ja noch ein ausgeglichener Haushalt.